Buchvorstellung
Jens Reich – Es wird ein Mensch gemacht
Möglichkeiten und Grenzen der Gentechnik
DNA-Test, embryonale Stammzelle, Präimplantationsdiagnostik, Genom, Chromosom, Keimbahn, Klonen, Designer-Baby - Haben Sie noch den Überblick? Wenn nicht, hilft vielleicht ein Blick in das Buch von Jens Reich. Die Gentechnik ist eine hochspezialisierte Forschungsrichtung. Die Fragen, die sie aufwirft, gehen aber uns Alle an. Sollen wir die Antworten einigen wenigen Spezialisten überlassen? Ich denke nicht; dazu braucht es aber etwas Nachhilfe in Biologie. Da ich selbst kein Biologe bin, muß ich mich auf Aussagen von Fachleuten stützen. Doch wem kann ich trauen? Es gibt genauso viele Fachleute, die die Gentechnik (was versteht man eigentlich darunter?) als Segen preisen, wie welche, die sie rundweg ablehnen. Daß ich mich entschlossen habe, Jens Reich Glauben zu schenken, liegt an der Art des Buches und am Lebensweg von Jens Reich.
Sein Leben in Kürze: Er ist 1939 geboren, wurde zuerst praktischer Arzt, studierte Biochemie, wurde 1980 Professor für Biomathematik, 1998 Professor für Bioinformatik. Neben seiner beruflichen Laufbahn fand ich sein soziales Engagement bemerkenswert: Er war 1989 Mitbegründer des neuen Forums, 1990 Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR und des Deutschen Bundestages, 1994 unabhängiger Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten und er ist seit 2001 Mitglied im Nationalen Ethikrat.
Was ist nun das besondere an seinem Buch? Mich hat die objektive Darstellung des Themas fasziniert. Es gibt immer jeweils ein Theoriekapitel, in dem Jens Reich einen Begriff, eine Erkenntnis oder ein Verfahren erklärt. Er tut dieses so objektiv wie möglich. Danach folgt jeweils ein Kapitel mit einem Dialog: Zwei virtuelle Personen führen ein Gespräch zu dem Thema. Sie zeigen die Vor- und Nachteile, Segnungen und Gefahren aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln. Und, was ich ganz wichtig finde, Reich läßt die Diskussion offen enden; denn er selbst ist auch Wissenschaftler, er hat natürlich seine Meinung und gute Gründe dafür. Aber bei vielen Fragen gibt es kein richtig oder falsch; das Ergebnis hängt vom ethischen Standpunkt ab. So grundverschieden wie diese sein können, so unterschiedlich kann die Bewertung eines Themas sein. Und auch bei nur einem Standpunkt kann es Gewissenskonflikte geben: Erlaube ich ein Verfahren, beispielsweise die Pränataldiagnostik, kann ich großes Leid verhindern – gleichzeitig gibt mir dieselbe Diagnostik Möglichkeiten, über das Weiterleben von Embryonen in Fällen zu entscheiden, die der gleiche ethische Standpunkt verbietet.
Beim Lesen hatte ich nicht so sehr Probleme mit den fachlichen Grundlagen. Auch wenn Jens Reich selbst davon ausgeht, daß man einige Absätze mehrmals lesen muß, da der dargelegte Sachverhalt sich eben nicht trivial ausdrücken läßt, so kam ich mit den Resten meines Schul-Biologie-Wissens doch ganz gut durch die Materie. Probleme kamen von unerwarteter Seite: Was mache ich mit dem erworbenen Wissen? Wie bringe ich es mit meinen ethischen Grundsätzen in Einklang? Reicht es überhaupt noch, nach Grundsätzen zu urteilen, oder bewege ich mich an einer Schwelle, an der ich eigentlich Einzelfälle bewerten muß? Und was bedeutet das für eine Gesellschaft, die sich nicht auf Einzelfallunterscheidungen einlassen kann und noch dazu grundverschiedene ethische Standpunkte unter einen Hut bringen muß?
Das Buch von Jens Reich ist spannende Lektüre. Ich kann nur Jedem empfehlen, es zu lesen, insbesondere als Vorbereitung zum Gen-Ethik-Seminar im Februar in Kassel.
Das Buch ist erschienen im Rowohlt-Verlag Berlin, ISBN 3 87134 471 0, hat 190 Seiten und kostet 16,90€.
Veröffentlich in "Unitarische Blätter" 5/2003
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