"Für den, der sich aus den Ketten gelöst hat und in der Arena der Erkenntnis Tyrannen nicht anerkennt, zählt einzig er - Friedrich Nietzsche."
Giorgio Colli, Nietzsche-Forscher

Landschaft und Literatur - Jean Giono (Provence) und Manfred Hausmann (Niedersachsen)

Literatur-Seminar von Gartenhaus Pinneberg und Unitarische Akademie vom 24.-26. September 2004 im Gartenhaus

Zwei Landschaften in Europa mit zwei Autoren dieser Gebiete stehen im Mittelpunkt eines Seminars, zu dem das GARTENHAUS (Unitarische Akademie e.V.) einlädt: Nordniedersachsen mit Manfred Hausmann und die südfranzösische Provence in ihrem dichterischen Repräsentanten Jean Giono. Es wäre ein Mißverständnis zu meinen, bei diesen Schriftstellern handele es sich nur um produktive Dichter bestimmter Regionen und Landschaften. Beide sind entschieden über das bloß Regionale hinausgewachsen, aber sie haben ihre tiefe Beziehungsnähe zu einem geographischen Raum nie verleugnet.


Schöpferische Kräfte wuchsen ihnen zu für ihr schriftstellerisches Werk aus der liebenden Bindung an eine bestimmte Landschaft. Eine ökologisch gefährdete Welt bedarf der Zuwendung und der regionale, überschaubare Ausschnitt fordert unsere ganze Aufgeschlossenheit, besonders wenn dieser Ausschnitt durch die Literatur, durch Sprache bewahrt, belebt und in besonderer Weise bewußt gemacht worden ist,
Jean Giono und Manfred Hausmann durchlebten eine fast gleiche Zeit. Beide wurden Autoren des S. Fischer Verlages und Manfred Hausmann war es, der beim Tode des großen Verlegers S. Fischer 1934 am Grabe eine vielbeachtete Ansprache hielt.
Der heidnisch-archaische Giono, als „Sänger des Lichts der Provence" verehrt, erscheint in seinen 30 Romanwerken, Dramen und Essays von Homer und Melville beeinflußt. Doch hat sich Giono auch immer wieder eingehend mit Goethe beschäftigt. André Gide rühmte ihn früh als den „Vergil der Provence": Manfred Hausmann dagegen ist im Norden Deutschlands anzusiedeln, in Nordniedersachsen zwischen Weser und Elbe, zwischen Nordsee und Aller hat er die meisten Jahre seines Lebens gelebt und eine entscheidende Zeit in der damals bedeutenden Künstlerkolonie Worpswede im Teufelsmoor. Er durchlief seine eigene Entwicklung als Schriftsteller: Eine aus städtisch-bürgerlichen Konventionen ausbrechende Jugend in Deutschland thematisiert er in frühen Arbeiten und veranschaulicht ihre Entdeckung von Natur und Landschaft.
In späteren Jahren neigt Hausmann religiös vermehrt einem Protestantismus des Theologen Barth zu, ohne als Dichter den naturmagischen Einbezug in ein Ganzes preiszugeben. In seinem vielschichtigen dichterischen Kosmos hat Manfred Hausmann nicht nur das Phänomen einer frühen Jugendkultur gestaltet, sondern sich auch dem Phänomen von „Kind und Kindheit" gewidmet, Einige Romane greifen mitmenschliche Probleme existenziell vertiefend auf und zeigen nicht selten die seelische, religiöse Bindung seiner- Romanfiguren an den ihn umfangenden Raum und / oder an christliche Werthaltungen. Neben seiner eigenen Lyrik wurden seine Übertragungen aus dein Japanischen, Chinesischen, Hebräischen und Griechischem immer wieder gerühmt.
Der französische und der deutsche Dichter waren Kriegsteilnehmer im Ersten Weltkrieg. Beide wurden schwer verwundet und haben auch aus dieser bitteren Erfahrung dichterisch eine Antwort gegeben. Jean Gionos konsequenter Pazifismus wurde ihm später übel nachgetragen. So wird mit diesem Literaturseminar gleichzeitig ein erregendes Kapitel der politischen Zeitgeschichte transparent.
Wir haben wieder mehreren Mitwirkenden bei der Gestaltung des Seminars zu danken, vor allem Dr. Marianne Beese aus Rostock mit einer Ausarbeitung über Jean Giono und Dr. Ulrich Kriehn, der vor zwei Jahren über Manfred Hausmann promovierte, über diesen heute fast vergessenen Schriftsteller.
Willkommen im GARTENHAUS für ein ganzes Wochenende - oder zu einzelnen Veranstaltungen.

Günter Pahl-Keitum

Freitag, 24. September 2004

20.00 Uhr: Stefanie & Wigmar Bressel, Bremerhaven:
Wege ins Teufelsmoor: Manfred Hausmann, Worpswede, Landschaftsphänomene
5-Sinne-Diavortrag zum Sehen, Hören, Schmecken, Riechen und Anfassen
im Anschluß (ca. 21.30 Uhr)
Gesprächsrunde zu Literatur & Landschaft
Vorstellung der Teilnehmer und Referenten: Mein persönlicher Zugang zum Seminarthema


Sonnabend, 25. September 2004

09.15 Uhr: Günter Pahl-Keitum, Pinneberg:
Aus der Provence - Bilder, Texte, Meditationen
Mit Farbdias von Martin Schulte-Kellinghaus, Verfasser eines erlesenen Bildbandes über die Provence
11.00 Uhr: Dr. Marianne Beese, Rostock:
Auf der Suche nach der "ursprünglichen Gebärde" - Aspekte des Welt- und Menschenbildes Jean Gionos
Vortrag
15.15 Uhr: Dr. Margarete Dierks, Darmstadt:
Naturerfahrung und Naturdarstellung im Werk Manfred Hausmanns
Vortrag
17.00 Uhr: Dr. Ulrich Kriehn, Neuenstein:
Zwischen Kunst und Verkündigung - Manfred Hausmanns Werk im Spannungsfeld von Literatur und Theologie
Vortrag
20.00 Uhr: Theater-Abend im Gartenhaus:
Manfred Hausmann: LILOFEE - Eine dramatische Ballade
Hamburger Schauspielerinnen und Schauspieler in einer szenischen Lesung
mit Vera Burkhardt - Anja Katharina Grumann - Katja Pilaski - Dirk Timm
Eintritt: 7,- € / 4,- €


Sonntag, 26. September 2004

09.15 Uhr: Dr. Marianne Beese, Rostock
Das "Meer" und der "Fluß" im Werk Jean Gionos
Vortrag
10.15 Uhr: Sigurd Bressel, Bockenem:
Prägung durch Landschaft?
Vortrag
11.00 Uhr: Dr. Ulrich Kriehn, Neuenstein:
Bäume, Gräser, Tiere - das Erleben der Natur bei Jean Giono und das Element Meer bei Manfred Hausmann
Vortrag

Tagungskosten:

75,- Euro
50,- Euro Tagungskosten für einen Tag
10,- Euro Eintritt bei Einzelveranstaltungen

Privatunterkünfte stehen begrenzt zur Verfügung; Schlafmöglichkeiten für Jugendliche im mitzubringenden Schlafsack ohne Berechnung. Hotelunterkünfte können vorbestellt werden und sind vom Teilnehmer direkt zu bezahlen.

Anmeldungen bitte schriftlich bis zum 22. September 2004 an

Gartenhaus Günter Pahl
Tangstedter Straße 22
25421 Pinneberg

Tel. 0 41 01 / 2 24 86

Das Seminar ist bezuschußt von der Carl-Kuhlmann-Stiftung der Unitarischen Akademie e. V.


„Sprache ist ein geistiges Ergreifen und Begreifen der Welt. Und das bedeutet:
Sprache ist Magie. Hamanns Einsicht bekundet: die Sprache oder hier die Namensgebung ist ein magischer Vorgang, durch den der Mensch die Dinge der Welt aus ihrer Fremdheit und Unfaßbarkeit heraushebt und sich aneignet."

Manfred Hausrnann in „Wirklichkeit des Wortes"


„Wenn es im Leben eines Künstlers Sensationen gibt, dann sind es jene bewegenden Augenblicke, in denen er, ohne daß er sich darum bemüht hätte, den mystischen Einklang zwischen seiner Empfindung und einem Gegenstand der Wirklichkeit, zwischen der inneren und äußeren Welt, zwischen dem Seelenhaften und Sinnenhaften wahrnimmt, in denen er die Möglichkeit wittert, etwas Seelisch-Unendliches in der Endlichkeit der Erscheinungswelt ausdrücken zu können. -
Es hat den Anschein, dass der junge Kunstschüler Fritz Mackensen so eine schicksalhafte, seine künstlerische Existenz bestimmende Stunde erlebte, als er den lichtdurchwehten Raum der Worpsweder Landschaft zum ersten Male betrat und von ihrem Geheimnis angerührt wurde.“

Manfred Hausmann in „Geheimnis einer Landschaft"


„In den Jahren vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war aus dem erfolgreichen Erzähler Giono eine Kultfigur geworden, die regelrechte Wallfahrten junger Intellektueller anzog. Nachdem die Sozialgesetzgebung der Volksfront (in Frankreich) von 1936 den bezahlten Urlaub eingeführt hatte, durchstreiften zahllose Städter die ihnen unbekannt gebliebenen Provinzen; stadtmüde Studenten pilgerten nach Manosque und wünschten von Giono in die Geheimnisse des provencalischen Hochlandes eingeführt zu werden, deren Schlüssel der Erzähler zu besitzen schien. Giono übernahm die Rolle des Naturpropheten..."

Lothar Baier im Nachwort von Gionos „Ennemonde"


„Ich habe meine Freude gefunden. Alles trägt mich, alles hilft mir, alles reißt mich fort, die Frühlingsblumen durchdringen mich mit ihren langen weiten Wurzelfasern, voll süßer Säfte, die Düfte haben für mich eine köstliche feste Form; Gewitter, Sturm, Regen, die Himmel, an denen leuchtende Wolken jagen, ich erlebe sie nicht mehr als ein Mensch, ich selbst bin das Gewitter, der Sturm, der Regen, und ich genieße die Welt mit ihrer ungeheuren Sinnlichkeit... Ich gebe das, was ich liebe, denen, die ich liebe. Der Freude entgegen...“

Jean Giono in „Vom wahren Reichtum" - fischer tb 1993 (Original 1937)


aus Hans am Ende: Frühling in Worpswede, um 1900